Die eine ist 88, die andere 24: Aber für Hella Krumbach und Carla Angerhausen fühlt sich das völlig normal an.
Über den Studentischen Besuchsdienst Aachen haben sie sich kennengelernt.
Von GEORG MÜLLER-SIECZKAREK – Aachener Zeitung/Aachener Nachrichten, 23.12.2023 (Originalartikel)
Hella Krumbach ist bester Dinge und lacht: „Wir quatschen über Gott und die Welt“, sagt sie, und Carla Angerhausen
nickt. Denn „quatschen“, das machen die beiden so gerne wie ausgiebig. Die 88-jährige Heimbewohnerin und die 24
Jahre alte Studentin zögern nicht, wenn sie gefragt werden: „Ja, wir zwei sind richtige Freundinnen.“ Eine Freundschaft,
die zwei Generationen überspannt, die 64 Jahre Lebenserfahrung trennen; bei der die eine mit ihrer zweijährigen
Urenkelin spielt und die andere Eishockey und Volleyball – das ist auf den ersten Blick ziemlich außergewöhnlich. Für
Hella und Carla aber fühlt es sich völlig normal an.
Allerdings nicht selbstverständlich, das ist auch den beiden klar: „Es muss schon passen“, sagt Carla. Es gebe ja kein
Patentrezept dafür, die Nähe zueinander sei halt auch „ein Glücksfall.“ Was ganz sicher an Hellas Art liegt: „Sie ist
direkt, das mag ich.“ Aber ein paar Dinge müsse man schon mitbringen. Empathie zum Beispiel, ehrliches Interesse am
anderen, die Körpersprache älterer Menschen lesen zu können. „Und man darf niemanden mundtot machen“, meint
Hella Krumbach. Carla empfindet die Gespräche mit Älteren grundsätzlich als Bereicherung. „Es ist doch schade, dass
viele Studierende niemanden über 30 in Aachen kennen.“
Die gebürtige Wuppertalerin studiert Maschinenbau an der RWTH, neuntes Semester. In welche Richtung es nach dem
Examen gehen soll, weiß sie noch nicht. „Sondermaschinenbau finde ich spannend“, die Konstruktion von
Einzelmaschinen und Kleinserien im Kundenauftrag. Man wird sehen …
Schon gleich beim Start 2019 in Aachen will sie sich engagieren, stößt bei einer Messe auf den Studentischen
Besuchsdienst, doch dann kommt ihr Corona dazwischen. Als man sich wieder treffen kann, fragt sie bei Ingrid Schmidt
vom Begegnungszentrum im Aachener Haus Hörn nach – und steht einige Zeit später im Apartment von Hella
Krumbach. Das war vor zwei Jahren.
Man muss sich Hella Krumbach als eine fröhliche und offene Frau
vorstellen, die mit sich und ihrem Leben im Reinen ist und die Dinge
so annimmt, wie sie kommen. Handicaps eingeschlossen: Der
Gleichgewichtssinn ist nicht mehr der beste, als Folge einer
Makuladegeneration hat sie nur mehr fünf Prozent Sehkraft, „und
schlecht hören kann ich auch gut“, sagt sie lachend – aber wenigstens
an Letzterem lasse sich ja etwas machen. Seit fast sechs Jahren lebt sie im Betreuten Wohnen auf der Hörn – „und ich
habe keinen einzigen Tag bereut“. Für sie passt das perfekt: eine kleine Wohnung mit Balkon und Blick ins Grüne, aber
mit sicherer Versorgung und vielen Angeboten, vom Chor bis zur Wassergymnastik. Wenn sie jemanden treffen will,
sind es nur ein paar Schritte. Und wenn nicht, dann hat sie ihre Ruhe. „Freundschaft ja, aber nicht um jeden Preis.“
Unerschütterlich optimistisch
Ein nur sehr schwer zu erschütternder Optimismus und ihr tiefer Glaube haben Hella Krumbach durch alle Lebenskrisen
getragen. Vor 15 Jahren starb ihr Mann; einen ihrer beiden Söhnen verlor sie, völlig unerwartet, mit gerade einmal 46
Jahren, „ein schwerer Schlag“. Aber auch damit hat sie ihren Frieden gemacht: Was Mutter als Kriegerwitwe geschafft
hat, das schaffst du auch, sagte sie sich und krempelte die Ärmel hoch. „Ich hatte 46 Jahre lang einen tollen Sohn, und
das können längst nicht alle von sich behaupten.“
Die beiden ungleichen Freundinnen sehen sich so, wie es gerade passt, etwa alle 14 Tage für zwei oder drei Stunden.
Am Ende geht‘s meist noch zum Mittagessen in die Cafeteria. Doch vorher wird geratscht, was das Zeug hält: Mal sind
es Geschichten, die Carla von ihren Reisen mitbringt – „sie schickt übrigens jedes Mal eine Karte“, freut sich Hella. Ein
andermal diskutieren sie über die unübersichtliche Weltlage. Oder über Gold und die Frage, wie das edle Metall eigentlich entstanden ist. Oder sie reden darüber, wie man so lebte und überlebte als Kind und Halbwaise im
zerbombten Aachen.
Hella war zehn, als der Krieg zu Ende ging, die Mutter musste mit einer winzigen Rente sie und die beiden Brüder
durchbringen. „Ohne Frau Krumbach würde ich ja nie erfahren, wie Aachen früher war.“ Wie man sich aus Trümmern
und Not Stück für Stück einen gewissen Wohlstand erarbeiten konnte, das sei faszinierend zu hören, sagt die Studentin,
die umgekehrt ihrer Paten-Oma eine Menge erklären kann. „Sie ist ein kluges Mädchen“, lobt Hella. Tabus kennen die
beiden Frauen übrigens nicht: „Wir können über alles sprechen.“
Eine Freundschaft wie diese wird immer eine Ausnahme bleiben.
Kontakte zwischen Jungen und Alten aber sollten es ihrer Ansicht
nach nicht sein. Denn die Zahl einsamer Menschen im Alter wird
steigen. Aktuell leben über zwei Millionen alte Menschen in
Deutschland allein. Die Gruppe der 80- bis 90-Jährigen wächst rasant
und wird sich nach Angaben der Malteser bis 2050 sogar mehr als verdoppeln.
Der Bedarf ist groß
Die Nachfrage beim Studentischen Besuchsdienst ist denn auch groß, sagt Carla. Hinzu kommt, dass eine Reihe ihrer
Kommilitonen ihr Studium in naher Zukunft abschließen und sich nicht mehr engagieren können. Nach der Pandemie
sei es ohnehin schwieriger geworden, Leute für den StuBdi zu gewinnen. „Wir brauchen aber dringend mehr
Ehrenamtliche.“ Wobei sie selbst die Besuche bei Hella Krumbach überhaupt nicht so empfindet, als Ehrenamt. „Für
mich ist das Spaß“, sagt die 24-Jährige, wohingegen der Austausch mit Freunden auf Social Media oft genug
anstrengend sei. „Auch wenn ich morgens mal schlecht gelaunt bin: Ich gehe von hier immer glücklich nach Hause. Es
tut einfach gut.“
Und deswegen steht das nächste Treffen der Freundinnen schon in Hellas Kalender. Es gibt ja wieder viel zu
besprechen.
INFO
Der Studentische Besuchsdienst Aachen, kurz StuBdi, ging 2014 aus einer Initiative von Studierenden hervor – Vorbild
war eine Gruppe in Münster. StuBdi wird von der Evangelischen Studierendengemeinde Aachen (ESG) unterstützt, ist
aber konfessionell unabhängig. Vermittelt werden Patenschaften zwischen Studierenden und älteren Menschen, zudem
machen die Ehrenamtler bei Seniorennachmittagen mit und bieten eine Tischtennisgruppe für Demenzkranke an, bei
der Luftballons statt der Zelluloidkugel über die Platte fliegen. In Seminaren werden die Studierenden für ihre Aufgabe
geschult. Die Pfarrerin der ESG, Swantje Eibach-Danzeglocke, bietet Hilfe an – auch für den Fall, dass die Paten-Oma
oder der Paten-Opa sterben sollte.
Vorgaben gibt es keine: Ausflüge, Spaziergänge oder einfach nur mal eine Runde reden – gemacht wird, was Spaß
macht, und wann es für beide Seiten passt. Die Studenten können wählen, ob sie lieber jemanden aus der Pflege oder,
wie im Fall von Carla und Hella, aus dem Betreuten Wohnen besuchen möchten. Und Vorkenntnisse sind auch nicht
erforderlich.
Wer mitmachen möchte, kann sich auf stubdi.rwth-aachen.de informieren und dort gleich einen Mitgliedsantrag
ausfüllen. Oder man schreibt an info@stubdi.rwth-aachen.de. Etwa 15 bis 20 Studierende aller Fachrichtungen
engagieren sich derzeit beim StuBdi und betreuen zwischen 50 und 60 ältere Menschen. Die Gruppe sucht allerdings
dringend Verstärkung, denn die Nachfrage nach Patenschaften ist groß.